Zu Besuch bei der Ausstellung: Hier und Jetzt – Antikoloniale Eingriffe
Zu Weihnachten erhielt Aliadas eine ganz besondere Einladung: Joanne Rodriguez, Kuratorin am Museum Ludwig in Köln, lud uns zu einer Führung auf Spanisch ein, um uns das achte Projekt der Ausstellung “HIER UND JETZT. Antikoloniale Eingriffe“ zu zeigen. Hier sind vier in Europa lebende Künstler*innen aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern (Honduras, Mexiko, Chile und Peru) die Protagonist*innen. Mit ihrem kritischen Blick wählten sie Werke von beispielsweise Künstlern der klassischen Moderne (zumeist aus Europa) aus, die ständig im Museum Ludwig ausgestellt sind, um sie aus einem antikolonialen Blickwinkel kritisch zu hinterfragen und uns neue Modelle der künstlerischen Reproduktion anzubieten.
Joanne als Kuratorin der Ausstellung und die Künstler*innen und Aktivist*innen, die sich an der Ausstellung beteiligen, indem sie ihre Stimme erheben und Vielfalt zeigen, sind ebenso wie Aliadas einem antirassistischen und antikolonialen Diskurs verpflichtet. Aus diesem Grund meldeten sich mehrere Mitglieder für den 14. Januar an mit Joanne und einer der Künstler*innen, der Mexikanerin Paloma Ayala eine Führung machen. An diesem Tag hatten wir eine ausführliche Tour durch das Museum, denn die einzelnen Interventionen in der Ausstellung sind über das ganze Gebäude verteilt und vermischen sich mit den ständigen Werken, anstatt nur in festgeschriebenen Räumen untergebracht zu sein.
Im ersten Teil des Besuchs hatten wir die Gelegenheit, mit Joanne verschiedene Klanginterventionen des Künstlers Pavel Aguilar zu entdecken, der verschiedene Instrumente vorstellt, die in Lateinamerika sehr präsent sind. Das erste Werk, das wir in der Ausstellung sahen, war eine goldverzierte quijada mit dem Titel „The Golden Rhythm“, ein afrikanisches Schlaginstrument aus dem Kiefer eines Esels, das sich am Eingang des Museums befindet. Die zweite Intervention war eine der neun Kürbisraspeln/Güiros, die sich in verschiedenen Räumen des Museums befinden und dem Publikum zum Spielen zur Verfügung stehen. Der Künstler präsentiert auch Muscheln als Blasinstrumente und stellt Akkordeons mit antipatriarchalischen Botschaften auf Deutsch, Englisch und Spanisch in leuchtenden Farben aus. Mit seinem musikalischen Beitrag regt er zum Nachdenken über die Frage der Zweckentfremdung von Kulturgütern an, wie z. B. des Kieferknochens im Falle der christlichen Simson-Tradition. Die Tatsache, dass der Künstler die Zähne des Eselkiefers vergoldet hat, ist kein Zufall, sondern eine Kritik an der Kolonialmacht, die Land und Leute ausbeutete, um Reichtum anzuhäufen.
Zweitens hörten wir die Geschichte der Videoperformance über die Ausbeutung von Schokolade durch Europäer*innen, die Paula Baeza Pailamilla am 12. Oktober machte, um Missstände in der Schokoladenproduktion, einschließlich Kinderarbeit, anzuprangern. Das Museum Ludwig ist der richtige Ort, um dieses Werk der Mapuche-Künstlerin zu zeigen: Denn das Museum wurde 1976 gegründet, nachdem es eine Schenkung von mehr als 300 Kunstwerken von den Sammler*innen Irene und Peter Ludwig erhalten hatte, die ihr Vermögen mit dem Vertrieb von Schokolade gemacht hatten. Paula macht darauf aufmerksam, dass die Geschichte des Museums – und nicht nur die Werke, die es beherbergt – Spuren der Kolonialzeit in sich tragen. Ihre Schokoladenskulptur steht gegenüber des Reliefs von Minerva Cuevas, die mesoamerikanische symbolische Darstellungen von Maya-Gottheiten, den Schokoladenbaum, einen Affen und einen Fisch sowie verschiedene europäische Bankenlogos zeigt. Beide Werke sind eine Kritik an der kolonialen wirtschaftlichen Ausbeutung und dem Verlust einheimischer Handelsformen.
Drittens präsentierte die Künstlerin Paloma Ayala ihren eigenen Raum des antikolonialen Widerstands, der neue Wege beschreitet, indem er Kunst in Reichweite aller Besucher*innen anbietet: Jede*r, die*der möchte, kann ungebrannte Tonfiguren herstellen und sie auf den Regalen im Raum abstellen und so direkt in die im Museum präsentierte Kunst eingreifen. Wenn die Ausstellung am 5. Februar endet, wird der Ton wiederverwendet und ist somit nachhaltig. Ihre Idee ist es, mit Macht- und Hierarchieverhältnissen zu brechen und als Person aus dem globalen Süden und als Migrantin zu entscheiden, dass alles, was dort gemacht wird, Kunst ist, die aus Emotionalität, Erinnerungen und unterschiedlichen Erfahrungen entsteht. Jedes Mal, wenn Paloma in das Museum zurückkehrt, freut sie sich zu sehen, wie ihre Sammlung in Bewegung ist: Jedes Mal gibt es mehr Figuren in den Holzregalen und einen Arbeitstisch, an dem ständig Menschen tonen.
Die Führung wurde mit einem Werk von Max Ernst aus dem Jahr 1926 fortgesetzt, das die Peruanerin Daniela Ortiz ausgewählt hat, um ein Gegenmodell zu malen, in dem sie den weißen Feminismus und die Misshandlung von Minderjährigen in vom patriarchalischen Staat finanzierten Aufnahmezentren anprangert. Anhand eines realen Beispiels des Kolumbianers Jesús Ánder in Spanien macht sie Fälle von Minderjährigen sichtbar, die an diesen Orten ums Leben gekommen sind, und prangert Personen aus der Politik, in ihrem Fall drei spanische Ministerinnen als Verbündete des Patriarchats an.
Am Ende der Führung besuchten wir die antikoloniale Bibliothek mit ausgestellten Büchern für Erwachsene und Kinder. An der Wand des Raumes befindet sich ein partizipatorisches Wandbild, auf dem jede Person die folgenden Fragen beantworten kann: wie man innerhalb kolonialer sozialer Strukturen agiert und wie man das Museum in Zukunft antikolonial gestalten kann, um den Raum für andere Kunstformen zu öffnen.
Als Geschenk nahmen wir ein gedrucktes Glossar mit antikolonialen Begriffen auf Englisch und Deutsch mit, sowie Ideen, die wir bei den diesjährigen Aktivitäten von Aliadas umsetzen können – bleibt dran, um in unserem Newsletter zu erfahren, wie der kulturelle Besuch uns inspiriert hat! In Anbetracht der Tatsache, dass der Eintritt in die Museen am ersten Donnerstag eines jeden Monats für Kölner Bürger*innen kostenlos ist, möchten wir uns von euch verabschieden und alle Aliadas ermutigen, die Ausstellung vor ihrem Ende zu besuchen und über die Kolonialgeschichte nachzudenken.
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